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IGNAZ MOSCHELES

BEMERKUNGEN ZU EINIGEN METRONOMANGABEN

A) FAKTEN

In seiner Ausgabe der Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven (hier: “Hallberger’s Prachtausgabe der Klassiker, Sämmtliche Sonaten für Pianoforte von L. van Beethoven, Zweiter Theil.” ca. 1870) schreibt Ignaz Moscheles (1794 - 1870) sorgfältig über jeden Satz die ihm angemessen erscheinenden Metronomzahlen, im Anhang dann eine Skizze des hermeneutischen Inhaltes, eine formale Analyse und die Ausführung der Ornamente.

Zur Mondscheinsonate op. 27 Nr. 2: “Der zweite Satz spricht die Abschiedsworte aus: ‘O denke mein! - ich denke dein!’”

Das läßt sich für die Takte 1 - 4 gut mitsingen.

“Leb’ wohl... auf ewig!” paßt  auf die Takte 17/18 ff.

Weiter schreibt Moscheles: “...im Zeitmaß sehr mässig zu nehmen und besonders die Legato- und Staccato-Stellen recht zu unterscheiden.”

Die Metronomzahl gibt Moscheles mit punktierter Halbe = 76 an, Beethoven überschrieb den Satz mit “Allegretto”.

Moscheles hat für Beethoven den Klavierauszug des Fidelio angefertigt, war mit dem Mozart-Schüler J. N. Hummel befreundet und studierte Komposition bei Salieri und Albrechtsberger. Er wuchs also völlig im Stilbereich der Klassik auf und war mit der Art der Werkaufführungen unmittelbar vertraut.

 

B) DISKUSSION

Die Zahl 76 steht auf dem Metronom zwischen Adagio und Andante, eine Verdreifachung (für die Viertel) ergibt 228, eine Zahl jenseits des Prestissimo.  Man singe in diesem Tempo das “Leb’ wohl... auf ewig!” und der Irrsinn, diese Zahl wörtlich zu nehmen wird sofort klar. Mit Allegretto haben beide Zahlen nichts zu tun.

Im Sinne des Tempo Giusto jedoch ergibt sich für das getickte Viertel die Zahl 114, was ein vorzügliches Allegretto ergibt. Dieses Tempo entspricht auch dem “sehr mässig” von Moscheles, und die Artikulation ist ebenfalls überzeugend darstellbar.

 

C) SCHLUSSFOLGERUNG

Der Satz wird an den Musikhochschulen der Welt grundsätzlich zu schnell gelehrt, auf den Konzertpodien zu schnell und zu undeutlich gespielt. (Elektronische Tonträger stehen nicht zur Debatte, da hier die Möglichkeit besteht, das Tempo bis ins Unendliche zu steigern, von welchem Schwindel ja auch rege Gebrauch gemacht wird.) Die Annahme einer Metronomzahl im Sinne des Tempo Giusto ist die einzige Möglichkeit, Moscheles’ Metronomzahl im Verbund mit seiner Spielanweisung zu erklären.

 

 

D) Anregungen

1.)
Man versuche die von Moscheles angegebene Metronomzahl 8tel = 132 für den langsamen Satz der Sonate op. 31 Nr. 1. Man wird die Unspielbarkeit feststellen, denn 16 48tel-Noten auf zwei Achtel ergeben - wird die Zahl wörtlich genommen - 17,6 Töne je Sekunde (!), die weder spiel- noch hörbar sind. Konsequenz: zumindest für diesen langsamen Beethoven-Satz ist die Metronomzahl metrisch zu nehmen.

2.)
Man prüfe die Metronomzahlen C. Czernys in seinem Buch “Über den richtigen Vortrag der sämtlichen Beethoven’schen Klavierwerke”.

3.)
Noch klarer wird es bei einigen Metronomzahlen der Haslinger-Ausgabe: Halbe = 112 für den Presto-Satz der Sonate op. 10 Nr. 2, was bei wörtlicher Auslegung bedeutet, seitenlang 15 Töne je Sekunde spielen zu müssen. Das schafft kein Klaviersportler von heute, und vor 200 Jahren hätten es die biedermeierlichen Musiker erst recht nicht geschafft - und auch nicht schaffen wollen!

 

Adnote:

Bewegung und Spieltempo bilden bei Moscheles eine Einheit - sehr schön zu beobeachten bei seiner “Gebrauchsanweisung” für seine Etüden op. 70: