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DIE KLAVIERWERKE DES CHARLES VALENTIN ALKAN

EINZELBETRACHTUNGEN

© 2007 Wolfgang Weller

Die Seite wird permanent aktualisiert, Hinweise jeglicher Art nimmt der Autor dankbar entgegen. Datum der Aktualisierung siehe Home.

 

Étude D-Dur op. 35 Nr. 2

Allegro, punktierte 4tel 144, Taktteile 8tel. Das Halten der angebundenen Note ist bildet einen zauberhaften klanglichen Effekt, zu dessen Ausführung viel Fingerspitzengefühl nötig ist. Später wird der Effekt noch verstärkt durch Doppelgriffe. Im doppelten Tempo weder spiel- noch hörbar. Die Coda ist mit "Presto" überschrieben, die Taktart 2/4, Taktnoten 16tel. Dieser Beschleunigungseffekt macht nur im Tempo Giusto Sinn und ist technisch überhaupt vollziehbar.


Étude G-Dur op. 35 Nr. 3

Andantino, 2tel 63, Taktnoten fortlaufende 16tel in blinden Oktaven. Seufzermotivik, schwere Akkordik im Wechselschlag bei beschleunigtem Tempo. In der Coda ein langes Accelerando, das nur ausführbar und musikalisch sinnvoll ist, wenn zuvor Tempo Giusto gespielt wurde.




Étude B-Dur op. 35 Nr. 6

Allegramente, 2tel 80. Übung für den 4. und 5. Finger in beiden Händen. 2/4-Takt bei fortlaufenden 16teln, über weite Strecken in beiden Händen gleichzeitig, dabei jeweils zweischichtig (Akkordzerlegung plus Melodie in punktiertem Rhythmu). Zugleich weite Sprünge sowohl in der 16tel-Figuration, als auch in den Akkordbegleitungsstellen der linken Hand. Selbst im Tempo Giusto steht die Etüde an der Grenze der Spielbarkeit.


Étude Es-Dur op. 35 Nr. 7 „L’Incendie au village voisin “

Einem Adagio (8tel 84, vielleicht ausnahmsweise wörtlich zu nehmen) folgt ein Allegro im 12/8-Takt, punktierte 4tel 132 bei fortlaufenden 16teln. Gegen Ende sind selbst im halbierten Tempo 15 Töne pro Sekunde zu spielen, was wie gewischt wirkt und die hochschlagenden Flammen symbolisieren soll. Bei wörtlicher Ausführung der Metronomzahl wären 30 Töne/Sekunde fällig, was der Stelle sowohl Wahrnehmbarkeit als auch Ausführungsmöglichkeit nähme.




Étude As-Dur op. 35 Nr. 8

Lento im 6/8-Takt, 8tel 112. Langsame (Legato-)Melodie mit Begleitung durch von 32tel Pausen unterbrochenen 32tel-Noten im „Distaccato“. Dies alles zuerst rechts, dann links, dann in beiden Händen zusammen als "Duet d'amour". Schönes Beispiel für die halbierung der Metronomzahl auch im  Lento.


Étude E-Dur op. 35 Nr. 11

Posément im 9/8-Takt, punktierte 4tel 96. Fortlaufende 8tel in 3-5tönigen Akkorden in jeder Hand. Dabei geht die Melodie durch alle Stimmen der Akkorde und beider Hände hindurch – eine außerordentlich diffizile Anschlagsstudie dankbarster Klanglichkeit. Der Mittelteil könnte von Schubert sein, inkl. des typischen Trillers in der Kontraoktavlage. In einem schnelleren Tempo als dem Tempo Giusto unvorstellbar.




Étude H-Dur op. 35 Nr. 12

Charmanteste Oktavenetüde der Klaviermusikgeschichte im 10/16tel-Takt (2x2+3) bei 5/16 88. Fortlaufende 16tel, in der Mitte schnelleres Tempo mit alternierenden Akkorden und darüberliegender Melodie. Im letzten Teil geht die Akkordbegleitung in Quartolen (4 gegen 5), ein Effekt, der nur im halbierten Tempo überhaupt hörbar ist.




Étude d-Moll op. 39 Nr. 1 „Comme le Vent “

2/16-Takt bei 8tel 160 mit 32tel-Triolen über 20 Seiten hinweg, eine Seite mit 64teln. Das ergäbe 16 bzw. gar über 21 Töne je Sekunde... Interessante Vortragsbezeichnungen sind „assotigliato“ oder „stirrachiato“. Das Ganze sehr plastisch zu spielen, mit der Deutlichkeit der sogenannten „älteren Brillanz“ durchaus im Stil von Henry Herz, Johann Peter Pixis oder Hummel und Mendelssohn, die Alkan hier samt und sonders ad absurdum führt.


Étude f-Moll op. 39 Nr. 4 „Symphonie 1.Satz “

Im 6/8-Takt, Allegro moderato, punktierte 4tel 108. Zwischendurch 16tel-Passagen. Wörtlich genommen musikalisch unsinnig, da bei fünfeinhalb Akkorden je Sekunde keine der subtilen Strukturen mehr wahrnehmbar ist oder angemessen darstellbar ist. Die Orchesterfarben sind deutlich erkennbar, ohne daß Alkan die gedachten Instrumente vermerkt hätte. Auch das braucht Zeit, diese darzustellen.


Étude d-Moll op. 39 gis-Moll Nr. 8 „Klavierkonzert 1. Satz “

3/4-Takt, 4tel = 160, Bewegung in 8teln. Seitenweise 16tel-Quintolen und auch 32tel-Passagen. Das Stück klingt, als versuche Berlioz ein Chopin-Klavierkonzert zu komponieren.
Die Aufführungspraxis von Klavierkonzerten im frühen 19. Jahrhundert wurde von den relativ geringen qualitativen Fähigkeiten der damaligen Orchester und natürlich von pekuniären Einschränkungen maßgeblich mitbestimmt. Deshalb schrieben die Komponisten ihre Klavierkonzerte (Hummel, Herz, Ries, Kalkbrenner, Chopin, etc.) fast immer auch in einer Fassung für Klavier solo mit integriertem Orchesterpart und führten diese Partitur dann auch meist so auf. “Chopins häufige Aufführungen der beiden Konzerte als Soli.” (Jim Samson, S.83). In der alten Petersausgabe (Scholz) stehen diese Versionen der Chopin-Konzerte. Insofern entspricht Alkans Setzweise also dem zeitgenössischen Usus. Die Länge diese Satzes (im richtigen Tempo dauert er ohne Kürzung immerhin eine gute dreiviertel Stunde) ist hingegen ungewöhnlich. Hier eine kurze formale Analyse:

T. 1 - 161: Orchestervorspiel
T. 1 - 39 1. Thema, T. 39 - 67 2. Thema, T. 68 - 79 Überleitung, T. 80 - 100 3. Thema, T. 101 - 117 1. Thema, T. 118 - 161 Coda mit 1. Thema.

T. 162 - 377: Solo
T. 162 - 188 4. Thema, T. 189 - 209 Solo mit Orchester (1. Durchführung des 1. Themas im Orchester), T. 209+210 Orchesterzwischenspiel, T. 211 - 252 Solo mit Orchester (2. Durchführung des 1. Themas im Orchester), T. 253 - 259 Orchesterzwischenspiel mit neuem Motiv T. 247 - 259, T. 260 - 289 Solo mit Orchester, Überleitung mit dem neuen Motiv, T. 290 - 377 Solo (1. Durchführung des 2. Themas.

T. 378 - 1110: Transzendentes Zentrum, eigentliche Etüde, kann man weglassen (sic!)
T. 378a-d direkte Überleitung nach T. 1111

T. 1111 - 1286 Quasi Tamburo mit Durchführung der Themen 1-3.
T. 1287 - 1327 Coda des Orchesters


Étude d-Moll op. 39 fis-Moll Nr. 10 „Klavierkonzert 3. Satz “

Allegretto alla barbaresca, 3/4-Takt, 4tel 100. Viele 32tel-Passagen. Die Berber des nordafrikanischen Atlasgebirges spielen auf der Rebab („quasi rebeche“), ein Streichinstrument das Alkan genial auf das Klavier überträgt. Das Tempo wird schon dadurch klargestellt. Anschließend eine chopineske Passage voller Poesie – Chopin im Berberzelt... Gegen Ende des Satzes ein Klangwunder an Glockenklängen in 16tel-Triolen und in entfernten Tonarten. Chassidische Transzendenz. Der Leitton fisisis (zum Hauptton gisis) ist einmalig in der Klavierliteratur.